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Presseerklärung des Friedensrats der Türkei vom 16. Dezember 2009

17. Dezember 2009
Von Hakan Tahmaz

Von Hakan Tahmaz

Lasst uns gemeinsam für unsere Träume und die Zukunft einsetzen, bevor es zu spät ist

Leider wurde in der Türkei erneut das Banner einer Partei eingerollt. Damit wurde der Repräsentation von Kurden im Parlament ein großer Schlag versetzt. Die Hoffnung auf eine friedliche Lösung der Kurdenfrage wurde noch weiter gemindert.

Die Entscheidung des Verfassungsgerichtes über das Verbot der DTP kann nicht akzeptiert werden. Keiner der angeführten Gründe erklärt das Verbot der DTP. Es ist nicht zu verbergen, dass es sich um einen politisch motivierten Beschluss handelt. Das Verbot wurde ohne rechtliche Grundlage gefasst und zielt darauf ab, den Kurden den demokratischen Weg vorzuenthalten. Das Verbot lastet jetzt wie ein schwerer Schlag auf der „kurdischen Öffnung“.

Verfassung des 12. September muss geändert werden

Das Parlament trägt die Hauptverantwortung für dieses Verbot, denn es war nicht in der Lage, die Verfassung des Militärputsches am 12. September 1980 und das Parteiengesetz zu ändern. Uns wird gerade vor Augen geführt, wie das Parlament in seiner Repräsentativität und Einstellung ins Abseits getrieben wurde.

Die AKP, welche sich im Zuge ihres eigenen Verbotsverfahrens zum Demokratie-Champion verwandelte, tritt nur zögerlich gegen das Verbot der DTP ein. Sie hat vielmehr dazu beigetragen, dem Verbotsverfahren den Boden zu bereiten.

Anhand des Verbots der DTP und der Tatsache, dass den Abgeordneten Ahmet Türk und Aysel Tugluk ihr Mandat entzogen wurde, sind die Grenzen der Demokratisierung der Türkei und die Handlungsunfähigkeit des Regimes deutlich zu erkennen. Ein Ausweg ist nicht unmöglich, aber er ist schwer und bedarf ziemlicher Anstrengung.

Jeder, der über diese Situation beunruhigt ist, muss Rechenschaft darüber ablegen, was er oder wir falsch gemacht haben. Das nicht zu tun und die Schuld auf andere zu schieben, führt nur zur Vertiefung der Ausweglosigkeit.

Verlasst den parlamentarischen Weg nicht

Die Partei wurde verboten und einem Vizevorsitzenden sowie einem Parlamentsabgeordneten das Mandat entzogen. Natürlich liegt es in der Hand der DTP-Abgeordneten darüber zu entscheiden, ob sie nun die Bevölkerung darüber abstimmen lassen wollen. Aber es lohnt sich, über die Konsequenzen nachzudenken, die ein Verlassen des Parlamentes nach sich zieht.

Als Friedensparlament der Türkei appellieren wir an die Abgeordneten der DTP: „Macht es denjenigen, die nur darauf warten, dass ihr das Parlament verlasst, nicht so einfach. Verlasst die parlamentarische Ebene nicht. Lasst uns für die Demokratisierung der Türkei gemeinsam nach diesem Schlag die Stirn bieten.“

Gleichzeitig muss die bis heute andauernde Repression gegen die Abgeordneten der DTP im Parlament und in vielen Bereichen des sozialen und politischen Lebens unverzüglich beendet werden.

Es ist die Aufgabe und Verantwortung der Regierung, das repressive und rassistische Vorgehen von staatlichen Institutionen und Bürokratie gegenüber den DTP-Abgeordneten zu beenden. Die DTP hat eine zentrale Rolle bei der Lösung der Kurdenfrage. Die Regierung trägt im Wesentlichen die Verantwortung, die dafür notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Zu versuchen, die Kurdenfrage ohne die DTP zu lösen, ist vergeblich und unglaubwürdig.

Liefern wir uns nicht dem Chauvinismus und der Hysterie der Straße aus

Die Ereignisse der letzten Tage müssten eigentlich ausreichen, um die Dimensionen der Gefahren, vor denen wir alle stehen, zu begreifen. Das erneute Ansteigen von Gewalt und von Zusammenstößen ist sehr besorgniserregend. Es zerstört den Raum für politischen Dialog und Austausch und bringt damit den Friedensprozess an sein Ende.

Die Gewalt und der Rassismus auf der Straße breiten sich immer mehr auf die gesamte Gesellschaft aus. Täglich steigt die Anzahl derjenigen, die Gewalt, Kampf und Töten als Mittel akzeptieren. Anstelle einer Lösung beginnt nun ein Wettbewerb um den Aufruhr auf der Straße. Regierung und politische Akteure, die sich der Gewalt und der chauvinistischen Hysterie auf der Straße ergeben haben, versetzen die Gesellschaft in Angst. Das verfinstert unsere Zukunft.

Es fehlt an Rechtsstaatlichkeit

Viele von uns sind zutiefst beunruhigt über die in Dolapdere gezogenen Waffen und Messer und die Freilassung der Täter. Am Beispiel des unterschiedlichen Vorgehens gegen Steine werfende Kinder und gegen diejenigen, die von Waffen Gebrauch machen, erkennt man den Rassismus, die Ungerechtigkeit und die fehlende Durchsetzung des Rechts. Unter diesen Voraussetzungen in der Türkei noch Vertrauen in das Rechtssystem zu erwarten, ist Unsinn. Es ist offensichtlich, dass die Kurden in einem solchen Gesetzessystem zum Instrument der Politik gemacht wurden.

Wenn man die Basis für einen Dialog zerstört und den Dialog mit den Ansprechpartnern für die Lösung der Kurdenfrage beendet, kann das Problem nicht gelöst und keine ernsthafte Verbesserung erreicht werden. Im Gegenteil, die Gewalt und Kämpfe nehmen zu. Dies wiederum führt dazu, dass die Demokratisierung der Türkei zunehmend unmöglich wird.

Zur Überwindung des Chaos und der Ausweglosigkeit müssen Schritte zur Beseitigung der Folgen des DTP-Verbots eingeleitet werden. Die politischen Akteure, welche die Kurdenfrage lösen wollen, müssen rasch zusammenkommen und unverzüglich zunächst Wahlrecht und Parteiengesetz und dann auch die Verfassung ändern, welche allesamt die Ursache für die Ausweglosigkeit darstellen.

Chance auf Frieden besteht weiter

Trotz des Parteiverbots und des Anstiegs von Gewalt und Aufwiegelungen auf der Straße existiert weiterhin eine Chance auf Frieden. Dafür müssen sich alle ihrer Verantwortung stellen, eh es zu spät ist.

Wir müssen uns dafür einsetzen, dass die kurdischen Politiker nicht außerhalb des Parlaments bleiben. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass nicht noch mehr Blut fließt. Die Basis für demokratische Politik muss gestärkt werden. Wir müssen uns sofort von Gewalt, Waffen, Leugnung und Rassismus abwenden.

Trotz aller negativen Ereignisse wird sich der Friedensrat weiter für eine friedliche und demokratische Lösung einsetzen und für ein friedliches Zusammenleben engagieren.


Hakan Tahmaz ist Sprecher des Friedensrats der Türkei. Der Verein „Friedensrat der Türkei“ wurde am 1. September 2007 von türkischen und kurdischen Menschenrechtsaktivist_innen, Politiker_innen und vielen prominenten Künstler_innen gegründet, um gemeinsam zwischen Kurden und Türken einen Weg für eine friedliche Lösung der Kurdenfrage zu suchen.